Als der Spanisch-Lehrer sich zur scheuen Japanerin hinunterbeugt, um ihr zwei Küsschen zu geben, schreckt diese heftig zurück. Was in Japan äusserst ungewöhnlich ist, ist in Spanien das normalste der Welt. Zwei Küsschen gehören zur Begrüssung zwischen Mann und Frau und unter Frauen – wenns nicht eine speziell formelle Situation ist – immer dazu. Auch wenn diese sich zum erstenmal begegnen. Unter Männern genügt ein Händeschütteln.
Zum Glück sind sich die Lehrpersonen der Sprachschule Delengua in Granada der kulturellen Unterschiede bewusst. Die spanische Kultur zu vermitteln liegt ihnen sehr am Herzen. So quittieren sie es auch mit einem Lächeln, als die Japanerin am nächsten Tag auf die Frage „¿que tal?“ (wie geht’s?) mit einer längeren Beschreibung ihres Gesundheitszustands antwortet. „¿Que tal?“ ist mehr eine Floskel, meist genügt ein kurzes „bien“ (gut) als Antwort. Will man hingegen mehr über das Wohlbefinden einer Person erfahren, so fragt man „¿Cómo estas?“.
„Señor professor“, setzt die Japanerin zu einer Frage an und wird abrupt unterbrochen: „Nenn mich Juan!“, ruft der Lehrer. Das ‚du‘ mit Vornamen ist in Spanien, besonders im Süden, als Anrede sehr weit verbreitet – in der Sprachschule Delengua in Granada ist man auch mit dem Direktor von Anfang an per du. Ganz allgemein ist man sehr gesellig, behandelt sich freundschaftlich und hat immer Zeit für ein Schwätzchen.
Der erste Kulturschock ist überwunden, es ist Freitagabend, der Lehrer ruft beim Verlassen des Zimmers: „Hasta Luego!“ (Bis Später!). Die Japanerin fragt sich schon, ob es wohl noch eine Abendklasse gibt. Doch nein, „Hasta Luego“ ist die am weitesten verbreitete Art, sich zu verabschieden (weit mehr noch als ‚adíos‘). Es wird selbst dann verwendet, wenn man davon ausgehen muss, dass man sich wohl nicht mehr sehen wird. Will man ‚Bis später‘ ausdrücken, so sagt man in Spanien ‚Hasta ahora‘ (Bis jetzt)! Ein verschobenes Zeitverständnis…
Einige Wochen später und um einige Spanischkenntnisse reicher, antwortet die Japanerin auf die Frage, ob sie die Hausaufgaben gemacht habe: ‚¡Mañana, mañana!‘ (Morgen, morgen!) – im Wissen, dass ‚morgen‘ in Spanien genauso gut ‚in einer Woche‘ oder ‚gar nie‘ heissen kann…